Kaffee schadet dem Herz! Oder?

Kaffee schadet dem Herz! Oder?

Warum ein „Ja“ oder „Nein“ als Antwort auf diese Frage nicht reicht und man bei Ernährungsstudien genau hinsehen sollte.

Kaffee, Kaffeebohnen, Bohnen, Geröstet

Sie war in den letzten Jahren in aller Munde – die evidenzbasierte Medizin. Mit Hilfe randomisiert-kontrollierter Studien (RCTs) lassen sich die Fragen nach der Wirksamkeit und Nebenwirkungen von Medikamenten häufig eindeutig beantworten. Dieser Goldstandard der klinischen Studie ist in der Ernährungsforschung jedoch ein seltenes Fundstück und das liegt nicht etwa daran, dass sich Ernährungswissenschaftler nicht mit der Durchführung von RCTs auskennen.

Vielmehr ist dieses Studiendesign bei der Untersuchung von Lebensmitteln nicht oder nur bedingt anwendbar. So wird im Rahmen von RCTs zumeist eine einzige chemische Substanz in streng definierter Dosierung getestet und bestenfalls mit einer Placebo-Kontrollgruppe verglichen. Effekte, die durch den Einsatz der Testsubstanz ausgelöst werden, sind dabei über einen kurzen Zeitraum gut messbar.

Wo liegen die Hürden?

Typische ernährungsmedizinische Fragestellungen, die es in die Schlagzeilen schaffen, drehen sich üblicherweise um präventive Eigenschaften bestimmter Nahrungsmittel oder Nahrungsmittelbestandteile gegenüber Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder anderen nicht-übertragbaren Krankheiten. Verursachen Süßstoffe Krebs? Oder kann Fischverzehr das Demenz-Risiko senken? Wie wirkt sich Kaffee auf die Herzgesundheit aus?

Allein die Entwicklung eines Placebo-Lebensmittels stellt dabei die erste Hürde dar – Placebo-Kaffee ist vielleicht noch vorstellbar (obwohl bereits die Berücksichtigung individueller Aromen ein schier unlösbares Problem darstellt), aber wie sieht es mit dem unwirksamen Gegenstück zum Fisch aus? Abgesehen davon, dass die Gesamtheit der eigenen Ernährungsweise zur Gesunderhaltung beiträgt, kann ein entsprechender Effekt erst nach Jahren oder Jahrzehnten gemessen werden – jedenfalls wenn oben genannte oder vergleichbare Erkrankungen betrachtet werden.

Warum es mit der Nahrung nicht so einfach ist

Können Sie sich vorstellen, an einer 30-jährigen Intervention teilzunehmen? Schlimmstenfalls mit einem Lebensmittel, das Sie nicht einmal mögen? Auf Geschmackspräferenzen kann schließlich bei Anwendung von Randomisierungsverfahren keine Rücksicht genommen werden.

Auch die vergleichbare Zusammensetzung der Kontrollgruppengruppen ist erschwert, da der Ernährungszustand einzelner Personen abhängig von enorm vielen Parametern ist, die zudem als Störgrößen bei der Durchführung und Auswertung der Studie auftreten. Denken wir nur mal an körperliche Aktivität, Tagesablauf, soziokulturelle Einflüsse, Stress, Grunderkrankungen … die Liste ist lang. Es leuchtet ein: Eine Standardisierung, wie sie innerhalb von pharmakologischen Interventionsstudien üblich ist, ist in der Ernährungsmedizin nahezu nicht erreichbar.

How To: Ernährungsempfehlungen

Das liest sich vielleicht ernüchternd und lässt Sie eventuell an der Daseinsberechtigung aktueller Ernährungsempfehlungen zweifeln. Sind die fünf Portionen Obst und Gemüse pro Tag also hinfällig? Um es vorwegzunehmen: Offiziellen Ernährungsempfehlungen von Fachgesellschaften wie z. B. der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) darf man trotzdem trauen und sich weiterhin an einer obst- und gemüsereichen Ernährung orientieren. Nach wie vor ist es auch ein probates Mittel, auf seinen Körper mit seinen Signalen zu hören, seiner eigenen Wahrnehmung zu trauen.

Und es gibt andere Wege, die statt RCTs zur Formulierung konkreter Richtlinien führen.

Einen Grundstein für gängige Ernährungsempfehlungen bilden meist ernährungsepidemiologische Studien. Mit statistischen Methoden aus der Epidemiologie können Zusammenhänge zwischen bestimmten Ernährungsweisen und dem Auftreten von Erkrankungen oder der Mortalität hergestellt werden. Oft werden auf Basis dieser Studien bereits fleißig Schlagzeilen gedruckt, die aber nicht berücksichtigen, dass es sich bei Resultaten dieser Erhebungen eben ausschließlich um statistische Korrelationen und nicht um kausale Beziehungen handelt. Für die Formulierung von Handlungsempfehlungen reichen solcherlei Ergebnisse nicht aus. Sie bieten jedoch einen wichtigen Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen.

Wenn in einer ernährungsepidemiologischen Studie beispielsweise eine Korrelation zwischen dem Konsum von Süßstoffen und Krebserkrankungen erkannt wird, würden sich daran weitere retrospektive epidemiologische Untersuchungen anschließen – bestenfalls finden diese mit anderen Kohorten, Altersklassen und Ethnien statt. Verstärkt sich der Verdacht auf einen tatsächlichen Zusammenhang, wird die Hypothese mit Hilfe experimenteller Methoden in vitro und im Tiermodell geprüft.

Eine Studie macht noch keine Empfehlung

Dabei stehen im Grunde ähnliche oder identische Fragen im Vordergrund, die auch im Rahmen der pharmakologischen Forschung eine zentrale Rolle spielen:

  • Ist ein möglicher kausaler Zusammenhang plausibel, wenn molekulare pathophysiologische und biochemische Mechanismen (im Labor identifiziert) berücksichtigt werden?
  • Kann die Hypothese bestätigt werden, wenn humane Zellen und Organoide mit einem entsprechenden Lebensmittelbestandteil (z. B. Extrakt) behandelt werden?
  • Können die Erkenntnisse in vivo und in humanen Interventionsstudien reproduziert werden, die sich relevanter Biomarkern bedienen?
  • Können in all diesen Settings mathematisch reproduzierbare Dosis-Wirkungs-Beziehungen festgestellt werden?

Die Liste ist lang und entsprechend mühsam zu beantworten. Das erklärt, warum der Ernährungsmedizin gern mangelhafte Evidenz für die Formulierung ihrer Empfehlungen vorgeworfen wird. Liegen jedoch ausreichend Daten vor, folgt die systematische Auswertung und ihr Zusammenschluss in Form von Metaanalysen. Sollte die Datenintegration über alle Methoden hinweg konsistente und belastbare Resultate liefern, ist die Ableitung von Ernährungsempfehlungen möglich – auch ohne die Durchführung von RCTs.

Betrachtet man also einzelne Datenpunkte, Studien und Übersichtsarbeiten genauer, können diese im Sinne einer risikopräventiven Ernährung bereits als sinnvolle Anhaltspunkte dienen. Reißerische Schlussfolgerungen die Süßstoffe, Kaffee oder Schokolade verteufeln und grünen Tee, Sellerie und Rotwein für eine unverzichtbare Ergänzung der täglichen Ernährung anpreisen, haben jedoch aus genannten Gründen kein ausreichendes Fundament. Ihre vermeintlichen Wirkungen beruhen auf epidemiologischen Beobachtungen und Laborversuchen, in denen mit hohen und isolierten Dosierungen gearbeitet wird.

Und jetzt?

Sollten Sie auf einen Artikel stoßen, in dem eine Studie aus dem Bereich der Ernährungswissenschaften zitiert wird, lohnt es sich also, einmal genauer hinzuschauen und die zitierte Publikation auf einige Kriterien zu überprüfen:

  • Handelt es sich um eine Laboruntersuchung (in vitro, in vivo) oder eine klinische Studie?
  • Beinhaltet das Studiendesign eine Intervention oder werden Rückschlüsse aus dem gewöhnlichen Ernährungsverhalten der Probanden gezogen?
  • Wie groß ist die Stichprobe? Nehmen nur wenige Probanden teil?
  • Handelt es sich bei den Resultaten um Korrelationen oder Kausalzusammenhänge?
  • Wie lautet die tatsächliche Schlussfolgerung der Autoren der Studie? Im Studienfazit werden für gewöhnlich mögliche Einflussfaktoren thematisiert und das Ergebnis relativiert.
  • Gibt es weitere Studien, Reviews oder Meta-Analysen, die zu ähnlichen Ergebnissen kommen?

Zum Abschluss

Auch wenn sich viele eine Art klinisch getestetes „Superlebensmittel“ für den Erhalt der Gesundheit wünschen, hat die gesunderhaltende Ernährungsweise in der Realität wenig mit der Wirkung ausgewählter Lebensmittel zu tun. Es ist – wenig spektakulär – nach wie vor eine ausgewogene Ernährung, reich an Gemüse, Obst und Hülsenfrüchten (und damit Vitaminen, Mineral- und Ballaststoffen) sowie Vollkornprodukten, die ergänzt wird durch Fisch und hochwertige Pflanzenöle.

Diese Ernährung steht in Verbindung mit einem geringeren Erkrankungsrisiko für die meisten Zivilisationskrankheiten – über zahlreiche und vielfältige Erhebungen hinweg. Einzelne Lebensmittel sind nun einmal schwer in ihrer Wirkung zu charakterisieren. In vielen Fällen ist das aber vielleicht auch wenig ausschlaggebend. Schließlich setzt sich unsere alltägliche Ernährung auch aus eben jener Vielfalt an Lebensmitteln zusammen, die wir über das gesamte Leben hinweg verzehren.

Nicht zu vernachlässigen ist natürlich auch schlicht die Menge der zu sich genommenen Lebensmittel und der sonstige Lebensstil, wie etwa Bewegung, ausreichend Schlaf, Balance zwischen An- und Entspannung, Rauchen, Alkohol.

Und was ist nun mit dem Kaffee?

Wenn man so möchte, ergeben sich insgesamt zwei einfache Faustregeln: Schlagzeilen und Zweizeiler-Textposts sind in ihrer Absolutheit fast immer falsch UND aktuelle offizielle Ernährungsempfehlungen von Fachgesellschaften haben als Grundlage zwar keine RCTs, berücksichtigen aber den aktuellen Stand der Forschung bestmöglich.

Übrigens, im Falle des Kaffeekonsums bedeutet das konkret: Mit 2 -3 Tassen Kaffee pro Tag müssen Sie sich keine Sorgen um Ihre Gesundheit machen.

Denn wie sagte schon Paracelsus:

“Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift.” Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.”

Kaffee schadet dem Herz! Oder?